Raumfahrtprogramm selbstgestrickt? Baikounur City #2, International School of Space, Kazakhstan, 2011 von Vincent Fournier (via core 77)
Das Chaos Communication Camp wird diese Nacht Samstag auf Sonntag den “Re-entry to Normality” einleiten, denn es ist mit all seiner bunten Fairground Attraction-Haftigkeit ein wirkliches Kind der Nacht. Die Vortragssschiene in den beiden Shelter-Hangars Baikonur und Kourou steht im Vergleich zum jährlichen Chaos Communication Congress eher im Hintergrund.
Vielleicht aus diese Sonderheit hat es sich ergeben, dass ein offensichtlich kuratierter Themenschwerpunkt “autonome Raumfahrt” das Vortragsprogramm dominiert hat. Ich habe zu wenig davon gehört, um ein fundiertes Urteil über die Vorträge mir erlauben zu können, aber aus meiner Sicht ist es erquicklicher übers CCCamp zu laufen und sich mit den vielen interessanten Menschen dort direkt zu unterhalten.
Der CCC hat von seinem Start vor dreißig Jahren an ein echtes Stein im Brett bei den Medien. Ein so spekulatives wie thematisch fragwürdiges Programm wie der “Hackers in Space”-Initiative der Auftaktveranstaltung [1] wäre anderen Institutionen zu Recht um die Ohren gehauen worden. Judith Horchert muss sich bei ihrem Beitrag für SPIEGEL Online schon ganz schön winden, um der Sache ein dem CCC gemäßen seriösen Spin zu geben. [2]
Neben Schwächen in der Vortragsperformance der gleich drei (!) Keynöter hätte solche in disruptiver Ansatz für eine raumgreifende Agenda, die zu allererst einmal das Kernkompetenzfeld der Hacker Community zu überdehnen scheint, wirklich mit allen rhetorischen und vortragstechnischen Wassern gewaschen sein sollen. Im nicht ganz unkundigen Publikum war eine merkwürdige Betretenheit zwischen Fremdschämen und einem durchaus motiervierbaren Willen zur Begeisterung zu erspüren. Der Applaus war dann auch enden wollend – und nicht das Fanal für den Beginn einer neuen Ära in der Weltraumfahrt.
Warum auch, auf den CCC-Veranstaltungen sind seit Jahren raumfahrtspezifische Themen und autonome Bastlergruppen mit Zug zum Höheren zugegen. Diese Ansätze zu bündeln, ist eine gute Idee, aber die Promoter von “Hackers in Space” sollten dann auch ihre Hausaufgaben machen. Während der an die Keynote anknüpfende kurze Q&A wurde das erste Missionsziel für 2015 – ein Hacker-eigener Kommunikationssatellit – von Teilnehmern aus der Amateurfunkszene für obsolet erklärt. Demnach können schon seit Jahren kleine Amateurfunksatelliten als Non-Payload (vulgo: Ballast zum Trimmen o. ä.) auf diversen institutionellen Missionen mitreisen.
Sich in die historische Tradition der Raketenpionieren Hermann Oberth und Wernher von Braun “einzufnorden” wie es Lars Weiler in der Keynote getan hat, ist einerseits richtig, aber die Jahre zwischen 1933 bis nach dem Krieg als “Zwangspause” zu bezeichnen, ist beinahe schon Naziverbrechensverniedlichung. Im Gegenteil, zu Zeiten des Dritten Reichs haben eine Menge Aggregat V-Raketen (aka V2) die Grenze zum Weltraum gekratzt und relevante Grundlagen der Space Transportation ermittelt – leider meistens mit tödlicher Payload für London und Umgebung.
Schlimmer noch, dass bei der industriellen Fertigung der V2 in den unterirdischen KZ-Fabriken mehr Menschen umgekommen als bei den Angriffen selbst. So was an dieser Stelle zu übergehen ist einfach tödlich – und hätte bei weniger toleranter Medienbegleitung “shitstormig” werden können auf dem sowieso schon von durchwachsenen Wetter gebeutelten CCCamp 2011.
Es ist bezeichnend, wenn ausgerechnet Johannes Grenzfurthner vom für jeden Spaß zu habenden situationistisch-austroanarchischen Künstlerunding monochrom [3] in der “Hackers in Space”-Diskussion sich als “Stimme der Vernunft” zu Wort meldet und auf die ethischen Aporien einer hacktivistischen Raumfahrtagenda hinweisen muss, da eine solche immer auch auf die militärisch geprägten Infrastrukturen von “Big Space” aufsetzen muss.
Der Einwand ist berechtigt, aber auch im IT-Kernbereich der Hacker Culture sind die Infrastrukturen militärisch-industriell kontaminiert – ohne gleich wieder die DARPA-Legende vom angeblich auf Nuklearkriegsüberlebenstauglichkeit hinentwickelten Internet Protokoll hervorzukramen. Persönlich hätte ich die ständig ansteigende “Cyberwar”-Obsession in der Mainstream-Öffentlichkeit mal zum Schwerpunktthema fürs Chaos Communication Camp auserkoren – vielleicht mit einer Cyber-Abrüstungsinitiative des CCC und seiner internationalen Partner?
Wen das Weltraumfieber trotzdem nicht los läßt – dem seien hier noch die vielen weiteren nicht nur skurrilen, sondern vor allem faszinierenden Fotos aus Vincent Fourniers Fotozyklus SPACE PROJECT empfohlen. [4]
[1] CCCamp-Fahrplan: Hackers in Space – A Modest Proposal for the Next 23 Years
[2] SPIEGEL Online: Sommercamp des Chaos Computer Clubs – Hacker träumen von der Mondlandung
[3] PHUTURAMA: monochrom’s ISS über Berlin: Mehr Lokalisation wagen!]
[4] Flash-Portfolio-Website von Vincent Fournier