Vom Fan zum Beitragenden
Wie Risszeichnungen den Weg eröffneten, selbst ein kleiner Teil des Phänomens PERRY RHODAN zu werden – von Heiner Högel
Heiner Högel hat diesen Text speziell für IN LINEARTRÄUME verfasst. Er hat dankenswerterweise für die Ausstellung die Bleistiftvorzeichnung seines epochalen »Forschungskreuzers der GAVÖK, PAX-Klasse« zur Verfügung gestellt.
Am Anfang stand die Faszination, die eine Science-Fiction-Serie vom Kaliber PERRY RHODAN auf einen Fünfzehnjährigen Mitte der siebziger Jahre ausübte. In einer Zeit, in der man noch nicht wie heute mit medialen Inhalten aller Art buchstäblich überflutet wurde. Da lernte die Fantasie fliegen, indem jede Woche ein Roman voller futuristischer Wunder verschlungen wurde. Trotz der aus heutiger Sicht reichlich martialischen Szenarien wurde die eigene Imagination im positiven Sinne angeheizt. Generell waren die Begriffe »Zukunft« und »Technik« überwiegend positiv besetzt, das Jahr 2000 noch unvorstellbar fern und gleichzeitig ein Projektionsort großer Erwartungen. Die PERRY RHODAN-Serie verkörperte den im Grunde ganz unschuldigen Traum vom Reisen zu fernen Sternen, dem Erforschen exotischer Welten und der Entwicklung völlig neuer Technik, um dies alles zu ermöglichen.
Dabei wurden durch die Illustrationen und Titelbilder der Serie auch visuelle Welten eröffnet, die bei kreativen Jugendlichen wie mir auf Resonanz stießen. Übrigens auch durchaus kritischer, denn einige Abbildungen konnten schon mal Verwunderung auslösen, wenn die Beschreibungen in den Romanen ganz anders waren als die Illustrationen. Die größte Anziehungskraft ging für mich aber von den Raumschiffen aus, die gerade am Anfang der Serie treibendes und tragendes Element jeder Handlung waren. Beim Lesen wurde jedes technische Detail aufgesogen im Bestreben, sich eine stetig wachsende Vorstellung von den Details dieser imaginären Technik zu machen.
Schon früh wurde der visuelle Part der Serie durch »Risszeichnungen« ergänzt, die anfangs unregelmäßig und später alle vier Wochen eine Doppelseite in der Heftmitte zierten. Ihr Gattungsname war von der Zeichentechnik abgeleitet, bei der die Raumschiffe buchstäblich »aufgerissen« darstellt wurden, so dass man Einblick in unzählige Feinheiten des inneren Aufbaus der Sternenschiffe bekam. Technische Explosionszeichnungen aus dem Ingenieurswesen waren Widerpart und Vorbild dazu in der realen Welt.
Diese Risszeichnungen verliehen den Raumfahrzeugen eine gesteigerte Art von Realismus, die das eigene Vorstellungsvermögen nur noch mehr anstachelte. Bald entstanden die ersten eigenen Zeichnungen, Schülerkritzeleien ohne besonderen Wert (außer für einen selbst). Und schnell begann auch das Forschen, wie diese bewunderten Werke der ersten Risszeichner eigentlich handwerklich gemacht wurden. Wie den meisten »Schicksalsgenossen« der zukünftigen nächsten Risszeichnerriege fielen mir dann irgendwann die ersten Zeichenschablonen in die Hände. Dazu ein Band über technisches Zeichnen aus der Bücherei – und schon reifte die Idee (oder sogar der Drang), es selbst einmal damit zu versuchen.
Dank Willi Voltz, dem sehr am Kontakt mit den Lesern interessierten Autor, Exposé-Schreiber und Redakteur der PERRY RHODAN-Serie gab es damals die Möglichkeit, ihm eigene Machwerke zuzuschicken – mit der minimalen Hoffnung, dass diese auf der wöchentlichen Leserkontaktseite der Serie abgedruckt würden. Und ein paar schafften es von da aus dann sogar bis in den »Olymp«: eine eigene in der Heftmitte veröffentlichte Zeichnung.
Viele meiner Mitstreiter haben sich anfangs an den Sujets der aktuellen Romanhandlung orientiert, also Technik aus den Beschreibungen der Serie abgebildet und mit detailliertem Leben erfüllt. Dazu vergab die Redaktion später auch spezifische Aufträge. Aber das musste nicht zwingend so sein, zumindest gab es zu dieser Zeit noch keine allzu strengen Regeln seitens des Verlags dazu. Und ich selbst sah das von Anfang an definitiv nicht so eng. Ich tobte meine Fantasie lieber bei Raumschiffen aus, die (meiner Meinung nach) gut in den Handlungskosmos passen würden, aber eben nicht direkt aus den Romanen stammten.
Das »Was-wäre-wenn«, die kreative Triebfeder der Science-Fiction-Literatur schlechthin, ließ mich Konzepte erforschen, die in Zwischenräumen der großen Handlungsbögen Platz fanden. Natürlich stets darauf bedacht, den »Kanon« der Serie nicht zu verlassen, aber dennoch neue Räume für die eigene Imagination zu erkunden. Hilfreich war auch, dass es zu den Risszeichnungen meistens auch Bildlegenden und allgemeine Ergänzungstexte gab, die üblicherweise vom Zeichner selbst verfasst wurden. Bei mir waren diese Textanteile immer etwas umfangreicher, weil sie mir eine weitere Plattform zur Vermittlung meiner kreativen Vorstellungen verschafften.
In der Rückschau kann man das heute besser erkennen: Das Risszeichnen hat es vielen (vor allem jungen) Serienanhängern erlaubt, von konsumierenden Fans zu Mitgestaltern eines gigantischen Universums der Vorstellung zu werden. Da meine Mitstreiter und ich aus eigenem Entschluss und aus dem Wunsch heraus, selbst kreativ zu werden, unsere zeichnerischen Beiträge geleistet haben, kann man sagen, dass wir uns buchstäblich selbst »ermächtigt« haben, unsere Fußabdrücke im Gesamtwerk dieser mittlerweile seit unglaublichen 62 Jahre laufenden Romanserie zu hinterlassen.
Es ist Außenstehenden wahrscheinlich kaum zu vermitteln, welche Befriedigung es bei einem jungen Menschen auslöst, wenn man eine eigene Idee in ein solch großes Werk der Imagination einfließen lassen oder auch »ein- schmuggeln« kann. Mir selbst ist das zweimal gelungen. Aus den bestehenden Technologie-Beschreibungen der Romane hatte ich eine bisher nicht »existierende« Form eines Atmosphärenantriebs abgeleitet, den sogenannten »Gravojet«. Tatsächlich tauchte meine »Erfindung« dann vereinzelt sogar in Romanen und Risszeichnungen anderer Kreativer auf.
Und zum anderen ist es mir gelungen, meinen Zeichnerkollegen eine weitere Veröffentlichungsplattform innerhalb der Heftserie zu verschaffen. Die sogenannten »Datenblätter« waren zunächst nur als ebenfalls vierwöchentlich erscheinende Ergänzung gedacht, um Seitenrisse von Raumschiffen der Serie darzustellen (analog zu Typenbüchern der realen Luftfahrt). Der schon erwähnte (legendäre) Autor und Redakteur Willi Voltz hatte meinem Vorschlag zunächst versuchsweise zugestimmt. Einmal als fester Bestandteil der Heftstruktur etabliert, wurde in der Hand (und der Imagination) der anderen Zeichner daraus aber schnell eine Spielwiese zur Darstellung von allerlei Technik aus der Serie. Einer sich daraus entwickelnden Explosion kreativer Ideen zumindest den Weg geebnet zu haben, machte mich als jungem Mann sehr stolz.
Und das ist der Punkt: Als junger Mensch die Chance zu bekommen (zu finden), eigene Ideen zu entwickeln und damit zu einem sehr viel größeren Werk beizutragen, so wie es bei mir und sicher auch bei manch anderen jungen Zeichnern der Fall war, das stärkt das Selbstbewusstsein und macht einem klar, dass man mehr ist als ein winziges anonymes Rädchen im Getriebe. Dies sind Selbsterkenntnisse und Erfahrungen, die einem auch abseits der imaginären Welt der PERRY RHODAN-Serie im täglichen Leben von Nutzen sind.
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