Captain America – Der erste Rächer ist ein Mann von Gestern

Etwas US-Patriotisches zum Independence Day 2011: Captain America – The First Avenger steht kurz vorm Start (US: 22. Juli; Deutschland 18. August) und erste Filmbilder und Trailer liefern schon ausreichend Material, um darüber einiges zu erzählen. [1] Captain America ist als Comic-Figur sowohl ein dankbares Objekt militaristischer Propaganda auch als Projektionsfläche subversiver Persiflage – wie von Peter Fonda in Dennis Hoppers Easy Rider verkörpert. [2]

Diese problematische Stellung des “ersten Rächers” selbst im Homeland Universe spiegelt seine Geschichte in Marvels “Golden Age” und seine Wiedererweckung im 1960er “Silver Age”, die auch die wesentliche Grundlage für die jetzige Verfilmung bieten. Captain America ist nämlich ein “Mann von Gestern.”

Die universelle Grundgeschichte des Hänflings Steve Rogers, der dank des “Super Soldier”-Experiments der US Army zum Superhelden evolviert, bewegt sich in dem insbesondere für Marvel-Helden charakteristischen reziprok-proportionalen “Fallhöhe” zwischen all zu menschlichen Schwächen und superheldischen Überkräften. Interessant aber für die Einordnung der Figur ist der Starttermin der “Golden Age”-Serie vor über siebzig Jahren. Marvel hieß damals noch Timely, und Stanley Lieber aka Stan “The Man” Lee gab sein Debut als Autor in Captain America #3 im Mai 1941.

Captain America ist also keine militär-faschistoide Propaganda-Erfindung des mehrheitlichen WASP-Milieus, sondern ähnlich Jerry Siegels und Joe Shusters Superman eine “Überintegrationsfigur”. Unter dem Eindruck des Zuzugs der vor der Judenverfolgung in Deutschland und Europa Flüchtenden – oftmals Familie und Freunde – fanden die jungen Amerikaner jüdischer Herkunft ein Ventil für ihre Wut gegenüber der für sie skandalösen Zurückhaltung der Vereinigten Staaten. Erst im Dezember des gleichen Jahres, in dem Captain America erscheint, wird mit Pearl Harbour Amerikas Kriegseintritt erzwungen.

Captain America – The First Avenger folgt ähnlich wie schon X-Men: First Class [3] dem Marvel-eigenen publikationshistorischen Mythos und spielt zur Zeit des 2. Weltkriegs. Die Feind ist Nazi-Deutschland, die geheime Über-SS-Organisation Hydra und der Erzbösewicht Red Skull, dessen Totenkopfhaftigkeit im Make-up leicht ins Lächerliche hätte umschlagen können. Ob der “Cap” wie auf den Cover des ersten Comic dem “GröFaZ” direkt die Fresse mit dem Schild poliert, kann ich noch nicht sagen.

Während ich der Story wie leider den meisten bisherigen Superhelden-Adaptionen keine besondere Tiefendimension zutraue, so scheint mir das Design der Marvel Studios-eigenen Produktion sehr gelungen. Die Entwicklung des “Super Soldiers” von der Propaganda-Figur der US Army-Truppenbetreuung – wie im Bild oben – zur echten Superheldengestalt in einer combat proven Kämpferrüstung erscheint glaubhaft zwischen WWII-Vintage Style und den Anforderungen an das Superhelden-Genre zu vermitteln. Der hammerschlag-grüne Vita-Ray-Konverter, aus dem die neugeborene Superkämpfergestalt entsteigt, ist ein erstklassiger retro-fiktionaler Entwurf. Die kurz im Trailer auftauchenden Hydra-Schergen-Krafträder scheinen mir über zu moderne Teleskop-Gabeln zu verfügen; aber die Nazis hatten zu den Olympischen Spielen 1936 ja auch schon Fernseh-Liveübertragungen.

Wichtig auch, weil der Film zum Schluss den Weg in die Gegenwart des kommenden “Avengers Assemble!”-Films [4] weist, das Goßereignis auf die Marvel Studios seit Jahren schon mit ihren Filmen Iron Man, Iron Man 2, The Incredible Hulk und Thor zusteuert. Wie ich gelesen habe, wird ein Nazi-Nurflügel-Tarnkappenbomber [5] irgendwo im ewigen Eis durch S.H.I.E.L.D. geborgen werden – mit einem tiefgefrorenen Captain America an Bord. Mit diesem Schluss folgt der Film der ursprünglichen Wiedereinführung des Captains ins “Silver Age” von Marvel: Als ein aus der Zeit gefallener Veteranenknochen des 2. Weltkriegs, dessen Aneckpunkte mit der Moderne jede Menge dramaturgisches Reibungspotential verspricht.

Politisch steht die Figur für Amerikas gegen die üblichen Parteilinien verlaufende Richtungsdiskusssion zwischen, wenn nötig, unilateralen Interventionisten und auf “Amerika First!” sich rückbesinnender Isolationisten. Dies ist ja das geheime Versprechen der Popkultur, das ihre Massenerzeugnisse in ihrer vermeintlichen Unernsthaftigkeit und Oberflächlichkeit die ‘wahren’ Befindlichkeiten und unausgesprochenen Sehnsüchte einer Gesellschaft zu dechiffrieren vermag. Insofern ist dies vielleicht ein tröstliches Bild der US-Gesellschaft, dass ihr erster Krieger und Rächer ein anachronistischer Mann von Vorgestern ist – und in Zukunft in eine breite multilaterale irreguläre Kampfeinheit eingebunden sein wird.

[1] Marvel Studios offizielle Flash-verstrahlte “Micro Site” zum Film
[2] WP: Easy Rider von Dennis Hopper (1969)
[3] PHUTUTAMA: X-Men First Class 1960s Visual Archeology
[4] WP: The Avengers von Joss Whedon. Bei diesem Lemma gibt es wohl keine Pre-Relevanz-Problematik
[5] How to be a Retronaut hat eine Zeitkapsel über “Hitler’s Stealth Bomber” veröffentlicht

One Response to “Captain America – Der erste Rächer ist ein Mann von Gestern”

  1. PHUTURAMA » Charaktermasken: Batman vs. Bane in The Dark Knight Rises Says:

    […] Spider-Man ist Coming-of-Age, X-Men sind Hanni und Nanni im Mutanten-Internat, Captain America [5] wird wohl ein Kriegsfilm als Trägergenre […]

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